14.06.2021
Die Nanostrukturierung von Materialien führt zu völlig neuen, oftmals überraschenden Eigenschaften; das macht sie hochinteressant für neue Technologien. Ob diese Werkstoffe allerdings zu robusten Bauteilen verarbeitet werden können und damit bis in die Anwendung finden, hängt sehr von ihren mechanischen Eigenschaften ab. Diese sind meist besonders schwierig zu bestimmen, ohne sie durch den Messprozess zu verändern oder die Materialien gar zu zerstören. Eine deutsch-französische Forschungsgruppe um Patrick Huber (DESY und TU Hamburg) hat nun ein berührungs- und zerstörungsfreies Messverfahren mit Laser-Ultraschall so weiterentwickelt, dass die elastischen Eigenschaften von nanostrukturierten Materialien detailliert charakterisiert werden können. Über ihre Forschungsergebnisse berichten sie in der Zeitschrift „Nature Communications“.
Materialien mit Nanostrukturen weisen viele Grenzflächen und extreme geometrische Beschränkungen auf. Deren Wechselspiel führt in vielen Materialsystemen zu neuem, oft überraschendem Werkstoffverhalten. Insbesondere nanoporöse Festkörper, deren Porenraum mit Flüssigkeiten gefüllt ist, haben daher in den letzten Jahren bereits zu neuen Hochleistungsmaterialien für die Energiespeicherung, Biosensorik und Wasseraufbereitung geführt. Die mechanischen Eigenschaften solcher Hybridmaterialien entscheiden häufig darüber, ob sie ihr technologisches Potenzial tatsächlich entfalten können. Umgekehrt sind viele klassische mechanische Charakterisierungsmethoden nur sehr schwer oder gar nicht auf poröse oder nanostrukturierte Materialsysteme anwendbar, was eine gezielte Verbesserung dieser Eigenschaften und damit die technologische Nutzung von Nanomaterialien erschwert oder gar unmöglich macht.
Nun ist dem Hamburg-Pariser Forschungsteam gelungen, mithilfe von Laser-Ultraschall-Experimenten die komplexen mechanischen Eigenschaften von nanoporösen Materialien, insbesondere porösem Silizium zu entschlüsseln und diese damit einem mechanistischen Verständnis und für technologische Anwendungen zugänglicher zu machen.
Patrick Huber, der die Forschungsgruppe „Hochauflösende Röntgenanalytik von Materialien“ bei DESY und das Institut für Material- und Röntgenphysik der TU Hamburg leitet, erklärt: „Ein gepulster UV-Laser erzeugt in porösem Silizium berührungslos thermoelastische Schwingungen. Diese Schwingungen, die im Ultraschallbereich liegen, durchdringen das gesamte einkristalline Material.“
Die Eigenschaften der resultierenden Oberflächen- und der geführten elastischen Wellen im Volumen des Materials hängen in unterschiedlichem Maße von den richtungsabhängigen elastischen Eigenschaften des nanostrukturierten Siliziums ab. Ein Laserinterferometer erfasst diese Wellen aus dem Nanomaterial völlig berührungslos, so dass die Mechanik des Materials mithilfe eines geeigneten Modells für elastische Wellen abgeleitet werden kann. Die komplexe Signalanalyse und die Entwicklung dieses Modells wurden in Zusammenarbeit mit Pariser Wissenschaftler:innen durchgeführt. „Insbesondere die kreativen Ideen zur Modellierung der Ultraschallausbreitung von Nicolas Bochud waren von unschätzbarem Wert für den Erfolg der Messmethode“, sagt Huber. Bochud ist Associate Professor am MSME-Labor in Créteil (Frankreich).
Marc Thelen, Erstautor der Studie und Doktorand in der Arbeitsgruppe Huber erklärt: „Herkömmliche Ultraschallmessungen besitzen den Nachteil, dass die Probe in direktem mechanischem Kontakt mit den Ultraschallsendern und -empfängern stehen muss. Dies geschieht durch das Auftragen eines flüssigen Koppelmittels. Poröse Materialien saugen diese Kopplungsfüssigkeiten auf, sodass klassische Ultraschallexperimente verfälscht werden. Wir konnten dagegen leeres und flüssigkeitsgefülltes Silizium untersuchen und damit demonstrieren, dass auch poröse, mit Flüssigkeiten funktionalisierte Materialien mit Ultraschall detailliert in ihrem mechanischen Verhalten analysiert werden können.“
Die untersuchten nanostrukturierten Siliziumproben enthielten parallele Nanoporen, die sich auf selbstorganisierte Weise gebildet hatten und eine Dichte von 100 Milliarden pro Quadratzentimeter Querschnitt aufwiesen. Die Experimente zeigten deutliche Unterschiede zum Verhalten herkömmlicher Silizium-Einkristalle, wie man sie als Wafer aus der Halbleiterindustrie kennt. „Wir konnten zum einen zeigen, dass die hohe Nanoporosität eine deutliche Reduzierung der Steifigkeit bewirkt. Sie führt aber auch dazu, dass die im Siliziumkristall vorhandene richtungsabhängige Elastizität aufgehoben zu sein scheint. Überraschenderweise konnten wir auch eine leichte Durchmesserveränderung (Konizität) der röhrenförmigen Poren auf der Nanoskala nachweisen“, erklärt Claire Prada, Forschungsdirektorin am Institut Langevin (Paris), die gemeinsam mit Huber diese deutsch-französische Zusammenarbeit koordinierte.
Die Studie zeigt, dass jüngste Durchbrüche in der Laser-Ultraschalltechnik völlig neue Möglichkeiten zur zerstörungsfreien und berührungslosen mechanischen Charakterisierung und Funktionsüberwachung von porösen Materialien eröffnen. Im Rahmen dieser Zusammenarbeit ist nun geplant, solche Laser-Ultraschall-Untersuchungen mit anderen Messmethoden, insbesondere der Röntgenanalytik, beispielsweise an PETRA III, zu kombinieren, um neben den mechanischen Eigenschaften auch das Zusammenspiel von Struktur, Dynamik und Funktion von Nanomaterialien, aber auch die Eigenschaften von Flüssigkeiten in Nanoporen in-situ und in-operando zu erforschen.
Originalveröffentlichung:
Laser-excited elastic guided waves reveal the complex mechanics of nanoporous silicon; Patrick Huber et al.; „Nature Communications“, 2021; DOI: 10.1038/s41467-021-23398-0
Text: Pressestelle DESY, Thomas Zoufal, thomas.zoufal@desy.de
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