Architektur als Statement und Verhandlungssache – Professor Meinhard von Gerkan ist tot

Der Architekt des Hauptgebäudes der TU Hamburg wurde 87 Jahre alt

05.12.2022

Das Hauptgebäude der TU Hamburg trägt die architektonische Handschrift von Meinhard von Gerkan
Das Hauptgebäude der TU Hamburg trägt die architektonische Handschrift von Meinhard von GerkanFoto: Lina P.A.Nguyen/TU Hamburg

Am 30. November 2022 verstarb Meinhard von Gerkan im Kreis seiner Familie in Hamburg. Er wurde 87 Jahre alt. Auch an der TU Hamburg hat sein Wirken als Architekt eindrucksvolle Spuren hinterlassen. 2008 war es der ehemalige Präsident der TU Hamburg, Professor Dr. Edwin Kreuzer, der von Gerkan an die TU Hamburg einlud, um sich die Schwarzenberg-Kaserne anzuschauen. Oder das, was von diesem ehemals eindrucksvollen Gebäude übrig geblieben war, nachdem jahrzehntelang keine sinnvolle Nutzung möglich war. Die Vision damals war, die ursprüngliche Planung, nämlich ein Eingangstor für den Campus der TU Hamburg zu schaffen, womöglich auch in einer Sichtachse von der nördlichen Campusgrenze zum südlichen Teil, neu anzugehen und endlich umzusetzen. Politisch war Bewegung in einen lange Jahre währenden Streit geraten, der über die Ortsgrenzen Harburgs bis in die Stadt selbst für den jahrzehntelangen Stillstand bei der Gebäudenutzung gesorgt hatte: Abriss oder Umnutzung? Schaffung dringend benötigter neuer Flächen für die TU Hamburg in einem Neubau? Erhalt des alten Gebäudes und Anpassung der Struktur an die Bedarfe einer modernen Universität? Der TU Hamburg fehlte ein Hauptgebäude, so wie es bereits in den 80er Jahren in Zeichnungen zur weiteren Bauplanung vorgesehen war. Die „Kaserne“ war ein Symbol für das Stadtbild Harburgs, ein Stück empfundene Identität. Insofern war es eine geniale Idee, das Alte mit dem Neuen zu verbinden, indem das Gebäude erhalten werden konnte, auch unter den Bedingungen des Denkmalschutzes, und einer neuen Nutzung zugeführt werden konnte. Ohnehin ein interessanter Gedanken, wie in der architektonischen Konversion ein ehemals für den militaristischen Teil Deutschlands stehendes Gebäude in ein Gebäude zum Wohl der Wissenschaften umgewandelt werden kann.  „Der TUHH-Campus und die fünf hauptsächlich genutzten Zugänge waren von den angrenzenden Straßen aus kaum sichtbar. Das Fehlen eines offiziellen Eingangstores wurde besonders auch von Gästen und ausländischen Besuchern vermisst und als Mangel empfunden. Der Schwarzenberg, zugleich die höchste Stelle des Campusgeländes, bot für die TUHH die einzigartige Chance, sich mit einem entsprechenden gestalteten Gebäude „ein Gesicht“ zu geben – offen nach innen und außen“, kommentiert der ehemalige Präsident der TU Hamburg, Professor Edwin Kreuzer.
Mit dem Ziel, eine Synthese aus Tradition und Moderne zu schaffen, die Harburger Vergangenheit in ein städtebauliches Highlight zu verwandeln werden, das über die Grenzen des Stadtteils und die Metropolregion Hamburg hinaus wirken konnte, trat Meinhard von Gerkan an das Projekt heran. Mit seinem Büro gmp überzeugte bei der Ausschreibung, wiewohl es Bedenken wegen der Baukosten gab. Meinhard von Gerkan ging dabei keiner Diskussion aus dem Weg. Im Vergleich zu den riesigen Projekten, die er bereits international erfolgreich umgesetzt hatte, war die Schwarzenberg-Kaserne eher bescheiden. Dennoch gelang ihm und dem Büro in vielen Gesprächen, an denen er selbst intensiv beteiligt war, immer eine konstruktive Linie. In vielen Nachrufen wird erwähnt, dass von Gerkan selbst sein Bedürfnis betonte, erst mit seinen Klienten zu reden, eine gemeinsame Ebene zu finden, sich zu einigen. Und dann erst zu bauen. Architektur sei eben Verhandlungssache, so seine Auffassung. Exakt so, wie es am Hauptgebäude der TU Hamburg geschah.
Die Bauarbeiten begannen 2010 mit der Grundsanierung und Beseitigung des Hausschwamms. Danach wurde die Kaserne größtenteils entkernt und die Lücke im Ostteil mit einem würfelförmigen Neubau gefüllt sowie im Westen der historische Teil mit einem quaderförmigen Anbau ergänzt. Es entstand wieder ein Ganzes mit neuem Charakter im Innern wie von außen. Herzstück ist das offene, 21,5 Meter hohe und zu den drei Etagen führende Treppenhaus mit einem Foyer im Parterre. Von der Schwarzenbergstraße sowie vom Campus führen zwei Freitreppen zu den 10,5 Meter hohen Eingangstüren. Diese Glasportale spiegeln die Form der historischen Rundbogenfenster wieder, von denen zwölf im Original im Parterre erhalten sind. Außer der Neubau-Fassade bilden diese Portale d a s prägende architektonische Element des Hauptgebäudes. Innen ist ein warmes Ziegelrot die beherrschende Farbe in Anlehnung an die Backsteinfassade. Alt und Neu treffen auch dort aufeinander, wo die ursprüngliche Außenfassade in das Gebäude integriert wurde, und - wie im dritten Stockwerk - Flurwände von Friesen gesäumt werden. Wie es einst in der Kaserne aussah, zeigt zum Beispiel der zur Gänze erhaltene seitliche Treppenaufgang im Westflügel des Altbaus. 2016 nach Abschluss aller Bauarbeiten erhielt die Technische Universität Hamburg den Denkmalpreis des Museumsvereins Harburg. Damit wird die TUHH für ihr Hauptgebäude am Schwarzenberg-Campus und für den Erhalt der historischen Bausubstanz einer Pionierkaserne ausgezeichnet. 
 

1935 in Riga geboren, Mutter und Vater in den Kriegsjahren verloren, wuchs von Gerkan in der Lüneburger Heide auf. Nach dem Abitur studierte er Jura und Physik in Hamburg, wechselte dann nach Berlin, um Architektur zu studieren. Es folgte ein weiterer Wechsel nach Braunschweig. Nach dem Diplom gründeten von Gerkan und sein Kommilitone Volkwin Marg ihr bis heute international renommiertes Büro gmp (Gerkan, Marg und Partner). Heute arbeiten weltweit mehr als 400 Beschäftigte für gmp. Von Gerkan gehört zu den bedeutensten Architekten des 20. und 21. Jahrhunderts. An der TU Hamburg hat er mit dem Hauptgebäude eindrucksvolle Spuren seines Schaffens hinterlassen. Darüber hinaus wird er vielen Gesprächspartnern in der TU Hamburg als freundlicher, stets aufgeschlossener und hinsichtlich seiner Offenheit hoch geschätzter Architekt des Hauptgebäudes „Am Schwarzenberg-Campus 1“ in Erinnerung bleiben. 
 


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