TU Hamburg: Einweihung einer weltweit einzigartigen Prüfanlage für Faserverbundwerkstoffe

Flugzeuge, Windkraftanlagen und Autos effizienter machen

02.05.2012

Hamburgs Wissenschaftssenatorin gibt den Startschuss für die Inbetriebnahme der Hexapod-Prüfanlange an der Technischen Universität Hamburg-Harburg. Prof. Garabed Antranikian (v.ln.r.), Prof. Dieter Krause, Senatorin Dorothee Stapelfeldt, Prof. Uwe Weltin, Prof. Karl Schulte
Hamburgs Wissenschaftssenatorin gibt den Startschuss für die Inbetriebnahme der Hexapod-Prüfanlange an der Technischen Universität Hamburg-Harburg. Prof. Garabed Antranikian (v.ln.r.), Prof. Dieter Krause, Senatorin Dorothee Stapelfeldt, Prof. Uwe Weltin, Prof. Karl Schulte
Foto: Christian Schnabel, TUHH

Eine Großanlage an der TU Hamburg ermöglicht erstmals in einem universitären Umfeld mechanische Tests an größeren Bauteilen aus Faserverbundwerkstoffen unter komplexen realitätsnahen Bedingungen. Die mit Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierte Hochleistungs-Prüfanlage ist in ihrem Leistungsspektrum weltweit einmalig. Künftig können dort beispielsweise Bordküchen von Flugzeugen und Flugzeugrumpfsegmente jenen Belastungen und Vibrationen ausgesetzt werden, die im realen Flugbetrieb herrschen - und weit darüber hinausgehen.

Das in Hexapod-Bauweise (Hexa, griech:.sechs; pod, griech.: Fuß) errichtete Prüfgerät wurde mit 2,8 Millionen Euro von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), 440 000 Euro von der TU Hamburg-Harburg (TUHH) und 300 000 Euro von der Behörde für Wissenschaft und Forschung, Hamburg finanziert und in einjähriger Bauzeit in einer eigens dafür errichteten Halle auf dem Campus installiert. Hamburgs TU-Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Garabed Antranikian begrüßte heute anlässlich der Einweihung in Anwesenheit von Hamburgs Zweiter Bürgermeisterin und Wissenschaftssenatorin Dr. Dorothee Stapelfeldt sowie dem Präsidenten der DFG, Prof. Dr.-Ing. Matthias Kleiner, mehr als 100 Gäste aus Wissenschaft und Wirtschaft in der neuen Halle. Für die Forschung und Entwicklung neuer Verbundwerkstoffe für Flugzeuge, Windkraftanlagen und Autos ist der in Kooperation mit Wissenschaftlern der TUHH entwickelte und von der Firma FGB Steinbach gebaute Hexapod von zentraler Bedeutung. Damit wird in Deutschland eine für die Grundlagenforschung bisher nicht verfügbare Technik zum Einsatz gebracht und eine zentrale Lücke zwischen materialwissenschaftlicher Grundlagenforschung und praktischer Anwendung geschlossen.

Bisher beruhen Berechnungen auf Kennwerten, die an kleinen Laborproben mit einzelnen Belastungszuständen - Zug/Druck oder Schub oder Torsion - ermittelt werden, sich jedoch in Wirklichkeit überlagern. Auch mit Computersimulationen ist diese Vielfalt für Verbundwerkstoffe kaum realitätsnah abzubilden. Anders im Hexapod, in dem Bauteile in jeder beliebigen Richtung belastet werden können, und der deshalb die maximal mögliche Flexibilität einer Prüfmaschine darstellt. Die zu prüfenden Bauteile können mehraxial in den drei Raumrichtungen - oben/unten, vor/zurück, rechts/links - sowie in jeweils einer Drehbewegung um jede dieser Raumachsen bewegt werden. Sensoren messen, welche Beschleunigungen wo auf das Bauteil wirken, und daraus können Rückschlüsse auf die Steifigkeit des Prüfobjekts gezogen werden. Vom neuen Prüfstand erwarten die Wissenschaftler genauere Kenntnisse über das Verhalten des Materials und somit Wege für eine effizientere und sicherere Nutzung der Faserverbundwerkstoffe in der industriellen Anwendung. Derzeit müssen diese noch zu großzügig bemessen werden.

Der Hexapod mit einer Flugzeugküche.
Der Hexapod mit einer Flugzeugküche.
Foto: Christian Schnabel, TUHH

Aufgrund der hohen dynamischen Belastungen wurde für den einzigartigen Hexapod-Prüfstand ein 350 Tonnen schweres Spezialfundament gebaut, das die im laufenden Betrieb entstehenden gigantischen dynamischen Kräfte von bis zu 50 Tonnen sicher aufnimmt. Die Belastungen des mit seinem Spezialfundament sechseinhalb Meter hohen und fast ebenso breiten Hexapoden auf die zu prüfenden Bauteile reichen bis zum sechsfachen der Erdbeschleunigung (6g), ein Druck wie er beispielsweise auf Piloten von Düsenjets wirkt. Oder auf den Fahrer eines Autos, wenn er mit 100 km/h durch eine Parkhausspirale führe (Ø 26 Meter). Nur die Hälfteder Belastung dieser Beschleunigung, entsteht beim Start eines Space Shuttles.

Unter diesen Rahmenbedingungen werden an der TUHH sowohl Leichtbaustrukturen aus Faserverbundstoffen (Material) als auch Bauteile aus diesem vielversprechenden Werkstoff (Material und Form) auf ihre Festigkeit und Lebensdauer untersucht. Auf dem hochdynamischen Prüfstand kommen in den nächsten Monaten Bordküchen, Kabinensitze und andere Flugzeugkomponenten für Testzwecke zum Einsatz. Das daran beteiligte Institut für Produktentwicklung und Konstruktionstechnik unter Leitung von Prof. Dr.-Ing. Dieter Krause arbeitet unter anderem mit dem Flugzeughersteller Airbus im benachbarten Hamburg-Finkenwerder zusammen.

Des Weiteren sind Untersuchungen von Luftfedern aus faserverstärkten Elastomeren in Schienenfahrzeugen geplant, die vom Institut für Zuverlässigkeitstechnik mit Professor Uwe Weltin an der Spitze durchgeführt werden. Getestet wird die Lebensdauer dieser Waggonfederung, die sich direkt unter dem Fahrgastraum befindet.

Materialuntersuchungen an größeren Bauteilen aus Faserverbundwerkstoffen, die beim Bau von Flugzeugen und Windkraftanlagen zum Einsatz kommen, wird das von Professor Karl Schulte geführte Institut für Kunststoffe und Verbundwerkstoffe durchführen. Geprüft wird das mechanische Verhalten - Festigkeit und Lebensdauer - dieses zukunftsweisenden Werkstoffs an bis zu 1,50 Meter großen quadratischen Werkstücken. Auch diese Prüfungen erfolgen mit finanzieller Unterstützung der DFG.

Bei der Großgeräte-Initiative der DFG erhielten die TU Braunschweig und die TU Hamburg-Harburg aus insgesamt zehn Förderanträgen Ende 2008 den Zuschlag. Die TUHH führt am Donnerstag, 3. Mai, aus Anlass der Einweihung der beiden DFG-Großgeräte in Hamburg und Braunschweig ein Symposium über multiaxiale Prüfstände durch, zu dem sich mehr als 50 internationale Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Hochschulen und der Wirtschaft angemeldet haben.

Faserverbundwerkstoffe bieten für den Leichtbau erhebliche Vorteile. Sie bestehen aus Glas-oder Kohlenstofffasern im Verbund mit Harz und sind viel leichter als zum Beispiel Stahl und dennoch stabiler. Gegenüber metallischen Leichtbaustrukturen kann von einer Gewichtsreduktion um etwa 30 Prozent ausgegangen werden.

Senatorin für Wissenschaft und Forschung, Dr. Dorothee Stapelfeldt:
"Ich freue mich sehr, dass die Technische Universität Hamburg-Harburg dieses interdisziplinäre Forschungsprojekt in Verbindung mit Bau und Vertrieb der Anlage realisieren kann. Die TUHH stellt damit ihre Leistungsfähigkeit im Bereich der Grundlagenforschung unter Beweis. Zugleich werden die Forschungsergebnisse auch konkreten Anwendungsbezug für zahlreiche Industriebereiche haben. Damit wird Wissenstransfer gewährleistet und die Innovationsfähigkeit Hamburgs gestärkt."

Prof. Dr.-Ing. Matthias Kleiner, Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft:
"Der heutige Tag markiert den Beginn eines neuen Kapitels der Forschung im Bereich Leichtbau und Werkstofftechnik in Deutschland. Mit den neuen Großgeräten an der TU Hamburg-Harburg und der TU Braunschweig stellt die DFG der deutschen Forschung zum ersten Mal die Technik zur Verfügung, die es ihr erlauben wird, in einem universitären Umfeld größere Bauteile aus faserverstärkten Verbundstoffen für den Automobil- und Flugzeugbau unter komplexen realen Belastungsbedingungen auf ihre Versagensmechanismen zu untersuchen."

Prof. Dr. Dr. h.c. Garabed Antranikian, Präsident der TUHH:
"Die neue Prüfanlage ist von weitreichender Bedeutung sowohl für die Grundlagenforschung in den Materialwissenschaften als auch die anwendungsorientierte Forschung an der TUHH. Damit eröffnen sich neue Perspektiven in der Zusammenarbeit in den für die Stadt Hamburg wichtigen Bereichen Luftfahrt sowie der erneuerbaren Energien. Das Großgerät stärkt den Wissenschaftsstandort Hamburg und ist ein Schlüssel für Innovationen aus der TUHH"

Prof. Dr.-Ing. Dieter Krause, Leiter des Instituts für Produktentwicklung und Konstruktionstechnik:
"Die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen den drei mit ihrer Forschung und Entwicklung am Prüfstand beteiligten Institute wird den Erkenntnistransfer zwischen der materialwissenschaftlichen Grundlagenforschung und der praktischen Anwendung erheblich beschleunigen. Dies eröffnet neue Möglichkeiten für die Entwicklung neuer Leichtbaustrukturen und den daraus hergestellten Produkten."

Für Rückfragen:
TU Hamburg-Harburg
Institut für Produktentwicklung und Konstruktionstechnik
Prof. Dr.-Ing. Dieter Krause
Tel. 040 / 42878-3031
E-Mail: krause@tuhh.de


TUHH - Pressestelle
Jutta Katharina Werner
E-Mail: pressestelle@tuhh.de