Bugatti-Bremssattel aus dem 3D-Drucker entwickelt vom Laser Zentrum Nord

01.02.2018

Bugatti-Bremssattel
Bugatti-Bremssattel
Foto: Fraunhofer/Marc Steinmetz

Mit seinen Supersportwagen Veyron und Chiron hat sich Bugatti in den letzten Jahrzehnten als Vorreiter für neue technische Entwicklungen und Innovationen im automobilen Extrem-Leistungsbereich etabliert und damit für atemberaubende Performance-Daten und Rekorde gesorgt. Nun hat die Technologieschmiede der französischen Luxusmarke einen neuen Coup gelandet: Erstmals ist es den Bugatti-Entwicklern gelungen, einen Bremssattel zu konzipieren, der per 3D-Druck gefertigt wird. Doch damit nicht genug. Während für die generative Fertigung von Fahrzeugteilen bislang hauptsächlich Aluminium verwendet wurde, besteht dieser neue Bremssattel aus Titan. Das ist das weltweit größte im 3D-Druckverfahren gefertigte Funktionsbauteil aus Titan. Erreicht wurde dieser neue Meilenstein in der Entwicklung des 3D-Drucks in einer Zusammenarbeit mit dem in Hamburg ansässigen Laser Zentrum Nord, das seit Jahresbeginn zur Fraunhofer-Gesellschaft gehört. Bugatti unterstreicht mit dieser Weltpremiere seine Leuchtturmfunktion für den 3D-Druck im Volkswagen Konzern sowie seine Rolle als Innovationstreiber in der internationalen Automobilindustrie. Die Fahrzeugversuche für den Serieneinsatz des 3D-Titan-Bremssattels werden noch in der ersten Hälfte dieses Jahres starten.

„Ein Fahrzeugentwickler sieht sich niemals am Ziel, das gilt auch und gerade für uns bei Bugatti“, so Frank Götzke, Leiter Neue Technologien in der Technischen Entwicklung von Bugatti Automobiles S.A.S. „Wir überlegen ununterbrochen, wie wir mit neuen Werkstoffen und neuen Verfahren unser aktuelles Modell in der Modellpflege noch besser machen und wie künftige Fahrzeugkonzepte unserer Marke technisch aussehen können.“

„Da wir uns mit unseren Leistungs- und Performancedaten oft im physikalischen Grenzbereich bewegen, sind die Ansprüche besonders hoch“, führt der 48-jährige Dipl.-Ingenieur und studierte Werkzeugmaschinen- und Fertigungstechniker fort. „Deshalb gehen wir bei Bugatti in der Entwicklung technischer Lösungen immer mindestens einen Schritt weiter als andere Hersteller.“

Götzke ist seit über 22 Jahren im Volkswagen Konzern tätig. Seit 2001 arbeitet er bei Bugatti und war als Leiter der Fahrwerk-Entwicklung maßgeblich an der Entwicklung des Veyron und in seiner jetzigen Funktion des Chiron beteiligt.

Bugatti hat derzeit im neuen Chiron die leistungsstärksten Bremsen der Welt im Einsatz. Die Bremssättel wurden dafür komplett neu entwickelt. Sie bestehen aus einer hochfesten Aluminium-Legierung und werden aus einem Block geschmiedet. Mit jeweils acht Titankolben an den vorderen Bremssätteln und jeweils sechs an den hinteren sind das gleichzeitig die größten Bremssättel, die derzeit in einem Serienfahrzeug zum Einsatz kommen. Der Bremssattel des Chiron wird unter Anwendung von Prinzipien der Bionik nach dem Vorbild der Natur gefertigt. Mit der neuen Architektur konnte minimales Bremssattelgewicht bei maximaler Bausteifigkeit erreicht werden. Sowohl für Design und Funktionsweise der Bremsen kam die Inspiration aus dem Rennsport.

Mit dem neu entwickelten 3D-Druck-Titan-Bremssattel geht Bugatti nun einen Schritt weiter und betritt damit Neuland. Titan kommt als Legierung unter dem wissenschaftlichen Namen Ti6AI4V hauptsächlich in der Luft- und Raumfahrt zum Einsatz, zum Beispiel bei hochbelasteten Bauteilen, wie den Aufhängungen der Fahrwerke oder Tragflächen bei Flugzeugen oder im Triebwerksbereich von Flugzeugen und Raketen. Der Werkstoff ist wesentlich leistungsfähiger als Aluminium. So beträgt beispielsweise seine Zugfestigkeit selbst als 3D-Druck-Bauteil 1.250 N/mm2, das heißt, dass man an einem Quadratmillimeter dieser Titan-Legierung mit etwas mehr als 125 kg ziehen kann, ohne dass das Material reißt. Der neue Bremssattel aus Titan ist 41 cm lang, 21 cm breit, 13,6 cm hoch und wiegt gerade einmal 2,9 kg. Im Vergleich zum derzeit verwendeten Bauteil aus Aluminium, das 4,9 kg wiegt, könnte Bugatti bei einem Einsatz des neuen Bremssattels im Fahrzeug folglich über 40 Prozent Gewicht einsparen bei gleichzeitig noch höherer Belastungsfähigkeit.

Dem stand bislang allerdings die Tatsache entgegen, dass die extrem hohe Festigkeit von Titan es sehr schwierig und in der Praxis oftmals sogar unmöglich macht, ein solches Bauteil aus einem Block zu fräsen oder zu schmieden und entsprechend zu bearbeiten, wie es bei Aluminium üblich ist. Ein äußerst leistungsstarker 3D-Drucker löst nun das Problem und eröffnet zudem die Möglichkeit, weitaus komplexere und damit deutlich steifere und festere Strukturen zu erzeugen, als dies mit jedem konventionellen Fertigungsverfahren denkbar wäre. Diese so genannte Anlage für selektives Laserstrahlschmelzen fand Frank Götzke in Hamburg, beim Laser Zentrum Nord.

„Das Laser Zentrum Nord ist eine von vielen wissenschaftlichen Einrichtungen, mit denen wir im Laufe der Jahre eine sehr gute Kooperation aufgebaut haben“, erläutert Götzke. “Dort verfügt man bereits aus sehr vielen weiteren Projekten, hauptsächlich mit der Luftfahrt-industrie, über umfangreiches Know-How gerade auch im Bereich der Titan-Verarbeitung sowie eine ausgereifte Technik.“ Die Hamburger Produktionswissenschaftler haben in den vergangenen Jahren eine Reihe an nationalen und internationalen sehr anerkannten Innovationspreisen für deren Arbeiten mit der Industrie erhalten.

„Die Zusammenarbeit mit Bugatti ist ein entscheidendes Leuchtturmprojekt für uns“, sagt Prof. Dr.-Ing. Claus Emmelmann, ehemaliger Geschäftsführer der Laser Zentrum Nord GmbH und seit der Übernahme des Zentrums als Fraunhofer-Institut für Additive Produktionstechnologien (Fraunhofer-IAPT) in den Forschungsverbund der Fraunhofer-Gesellschaft dessen Leiter. Darüber hinaus ist er Leiter des Instituts für Laser- und Anlagensystemtechnik der TU Hamburg (iLAS). Emmelmann ist stolz auf die Zusammenarbeit seines Instituts mit Bugatti: „Als uns Bugatti ansprach, waren wir sofort Feuer und Flamme. Ich kenne keine andere Automobilmarke, die so extrem hohe Anforderungen an ihre Produkte stellt. Wir haben diese Herausforderung gerne angenommen.“

Die Entwicklungszeit des 3D-Druck-Titan-Bremssattels war recht kurz: Von der ersten Idee bis zum ersten gedruckten Bauteil vergingen gerade einmal drei Monate. Das Grundkonzept, die Festigkeits- und Steifigkeits-Simulationen und -Berechnungen sowie die Konstruktion kamen als fertiger Datensatz von Bugatti zum Laser Zentrum Nord. Dort erfolgten dann die Prozess-Simulation, die Konstruktion der so genannten Stützstrukturen, der eigentliche Druck und die Wärmebehandlung des Bauteils. Die Endbearbeitung übernahm wiederum Bugatti.

Der spezielle 3D-Drucker im Laser Zentrum Nord, bei Projektstart die weltweit größte für Titan geeignete Anlage, verfügt über vier Laser mit einer Leistung von jeweils 400 Watt.

Es dauert insgesamt 45 Stunden, um einen Bremssattel zu drucken. In dieser Zeit wird Titanpulver Schicht für Schicht aufgetragen. Mit jeder Schicht schmelzen die vier Laser das Titanpulver der vorgegebenen Form des Bremssattels entsprechend auf. Das Material erkaltet sofort, der Bremssattel nimmt Gestalt an. Insgesamt 2.213 Schichten sind erforderlich. Nach Fertigstellung der letzten Schicht wird das verbliebene nicht aufgeschmolzene Titanpulver aus der Baukammer entfernt und in einem geschlossenen Prozess für die Wiederverwendung gereinigt und aufbewahrt. Übrig bleibt der Bremssattel, inklusive einer Stützstruktur, die das Bauteil in Form hält, bis es eine stabilisierende Wärmebehandlung absolviert und auf diese Weise seine Endfestigkeit erreicht hat.

Dafür kommt der Bremssattel in den Ofen, wo er für zehn Stunden Temperaturen von anfangs 700 Grad bis auf 100 Grad Celsius im weiteren Verlauf ausgesetzt wird, um Bauteileigenspannungen zu eliminieren und die Maßhaltigkeit sicherzustellen. Anschließend werden die Stützstrukturen entfernt und das Bauteil von der Bauplatte getrennt. Im nächsten Fertigungsschritt werden durch ein kombiniertes mechanisch-physikalisch-chemisches Verfahren die Oberflächen geglättet, was die Dauerschwingfestigkeit, sprich die Langzeithaltbarkeit des Bauteiles im späteren Fahrzeugbetrieb, drastisch erhöht. Abschließend werden die Konturen aller Funktionsflächen, zum Beispiel die Kolbenräume oder Gewinde, bearbeitet. Dies geschieht in einer so genannten 5-Achs-Fräsmaschine, die dafür noch einmal weitere elf Stunden benötigt.

Das Ergebnis ist ein höchst filigranes Bauteil mit Materialwandstärken zwischen minimal gerade einmal ein und maximal vier Millimetern.

„Es war ein sehr bewegender Moment für unsere Teams, unseren ersten Titan-Bremssattel aus dem 3D-Drucker in den Händen zu halten“, erinnert sich Frank Götzke. „Das ist das weltweit an seinem Volumen gemessen größte generativ gefertigte Funktionsbauteil aus Titan. Jeder ist beim Anheben des Bauteils überrascht, wie leicht es ist – trotz seiner enormen Größe. Es ist ein technisch äußerst beeindruckendes Bauteil, und es hat zugleich auch eine ganz wunderbare Ästhetik.“

Die ersten Versuche für den Serieneinsatz, für den es derzeit noch keinen Termin gibt, starten in der ersten Hälfte dieses Jahres. Dann werden sich schrittweise auch die Produktionszeiten, gerade bei der Nachbearbeitung, sehr deutlich verkürzen lassen, verspricht der Ingenieur.

Die Ergebnisse ihrer Arbeit stellen Götzke und sein Team dem Konzern und dessen Marken vor. „Bugatti ist bei der 3D-Druck-Entwicklung führend im Volkswagen Konzern“, betont Götzke. „Von unseren Projekten kann und soll jeder profitieren. Das ist auch Aufgabe Bugattis als Konzernlabor für Angewandte Hochtechnologie.“

Dabei ist der 3D-Druck-Bremssattel aus Titan nur ein Bespiel der aktuellen Forschungs- und Entwicklungsarbeit Bugattis. „Wir haben nicht nur das weltweit größte generativ gefertigte Bauteil aus Titan entwickelt, sondern auch das bislang längste Bauteil der Welt, das jemals in einem Teil in 3D aus Aluminium gedruckt wurde“, erklärt Götzke und holt stolz eine 63 cm lange Scheibenwischerplatine aus dem Schrank. Mit 0,4 kg lediglich halb so schwer wie eine herkömmliche Alu-Leichtbau-Druckguss-Platine, und das bei gleicher Steifigkeit. Aber das ist eine andere Geschichte.

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Text: Manuela Höhne / Marie-Louise Fritz


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