02.05.2013
Die TUHH-Nachwuchswissenschaftlerin Dr. Nicole Richter wurde für ihre Dissertation während eines Festakts im Bremer Rathaus mit dem renommierten Wolfgang-Ritter-Preis ausgezeichnet. Das Preisgeld beträgt 10.000 Euro. Die mit dem Preis ausgezeichnete Arbeit zum Thema "Internationalisation and Firm Performance- an Empirical Analysis of German Manufacturing Firms" verfasste Richter am Institut für Industrielles Management der Universität Hamburg bei Prof. Dr. Karl-Werner Hansmann. Die Wolfgang-Ritter-Stiftung aus Bremen verleiht jährlich einen Preis für "hervorragende wissenschaftliche Leistungen auf dem Gebiet der Volks- und Betriebswirtschaftslehre". Es handelt sich um einen der am höchsten dotierten Preise für volks- und betriebswirtschaftliche Arbeiten im gesamten deutschsprachigen Raum.
Mittlerweile habilitiert die 35-jährige Nachwuchswissenschaftlerin bei Prof. Dr. rer. pol. Christian Ringle am TU-Institut für Personalwirtschaft und Arbeitsorganisation zu der zentralen Frage: "Wie wirkt sich die Internationalisierung von Unternehmen auf den Unternehmenserfolg aus?" Unternehmen profitieren am stärksten von einer Internationalisierung, wenn ihr Umfeld kein allzu großes Maß an kultureller Distanz aufweist. Wo genau der optimale Grad der Internationalisierung liegt, welche Faktoren entscheidend zum Erfolg beitragen und welche Maßnahmen das Management zum Internationalisierungserfolg ergreifen kann, steht im Zentrum der Forschung von Dr. Nicole Richter.
Nicole Richter hat die Top 100 unter den deutschen Industrieunternehmen über einen Zeitraum von sieben Jahren mit Blick auf die Internationalisierung und ihren Erfolg untersucht. In einer Umfrage des DIHK (Deutscher Industrie und Handelskammertag) "Auslandsinvestitionen der Industrie" aus dem Frühjahr 2013 gab jedes dritte deutsche Unternehmen an, im Ausland zum Zwecke der Markterschließung in Produktionsstätten zu investieren (35 Prozent).
"So rein positiv wie das Thema Internationalisierung klingt, ist es jedoch nicht. Der Eintritt eines Unternehmens in neue geographische Märkte führt oftmals zu einem geringeren Erfolg", weiß Richter aufgrund ihrer Untersuchungen. Der erste Schritt auf dem klassischen Internationalisierungspfad führte expansionsfreudige Unternehmen von Deutschland aus in der Regel in die europäischen Nachbarländer. Doch je weiter ein Unternehmen in die Ferne ziehe, desto schwieriger werde es.
"Es herrscht keine Einigkeit in der Literatur über den tatsächlichen Zusammenhang zwischen Internationalisierung und Unternehmenserfolg", sagt Nicole Richter. "Generell aber lässt sich ein positiver Effekt der Internationalisierung auf den gesamten Unternehmenserfolg nachweisen, solange sich die kulturelle Diversität der bearbeiteten Märkte und internationalen Netzwerke nicht zu sehr steigert." Richter teilt die Internationalisierung in drei Phasen ein: die ersten internationalen Aktivitäten schmälern oftmals den Unternehmenserfolg. Gründe dafür sind unter anderem Anfangsinvestitionen und Anpassungsaufwand von beispielsweise Organisationsstrukturen.
"Durch Lerneffekte kann sich dieses Blatt wenden und Unternehmen profitieren in der zweiten Phase von der weiteren Markterschließung einhergehend mit Kosteneinsparungen aufgrund sich einstellender Skaleneffekte", so die Wissenschaftlerin. "Bei einigen Unternehmen kommt es allerdings zu einer Überinternationalisierung in Phase 3: ab einem gewissen Internationalisierungsgrad nimmt der Erfolg ab; häufig wird dies mit der überproportional steigenden Komplexität des internationalen Geschäftes und den häufig dann auch kulturell sehr diversifizierten Märkten erklärt, deren Bedürfnisse befriedigt sein wollen. "
Zur Phaseneinteilung hat Richter folgende Faustregeln formuliert: In Phase 1 beträgt der Internationalisierungsgrad 20-30 Prozent (gemessen an den Auslandsanteilen von Mitarbeitern und Umsätzen). Bis zu 50-60 Prozent sind es in Phase 2 und ab 60 Prozent erfolgt oft der Übergang in Phase 3.
Wie sich die Verlagerung von Unternehmensprozessen und damit von Mitarbeitern ins Ausland auf den Unternehmenserfolg auswirkt, führt Nicole Richter am Beispiel von VW vor. Im Jahr 1947 hat VW mit der Firma Pon's Automobilhandel in Amersfoort einen Vertrag zum Fahrzeugimport in die Niederlande geschlossen. Im Oktober 1947 wurden die ersten fünf Limousinen überführt, was den Beginn von VWs Internationalisierung markiert. Binnen eines Jahres schießt der Auslandsabsatz auf 4500 Fahrzeuge hoch; VW schließt Importeur Verträge mit Firmen aus der Schweiz, Belgien, Luxemburg, Schweden, Dänemark und Norwegen ab. "Zu Beginn also eine typischerweise Deutschlandnahe Internationalisierung", so Richter.
Im Jahr 1950 begann VW mit dem Übersee-Export. Seit dem Ende der 50er Jahre wuchs das internationale Geschäft von VW rasant, auf über 5 Millionen im Ausland abgesetzte Fahrzeuge im Jahr 2007. Das bedeutet, dass 83 Prozent aller abgesetzten Fahrzeuge im internationalen Ausland verkauft werden. Richter: "Die Internationalisierung spiegelt sich genauso in den Mitarbeiterstrukturen wider. Der erste offizielle Ausweis der Belegschaften im Ausland listet 16.485 Mitarbeiter im Jahr 1964. Bis 2007 hat sich diese Zahl im Ausland verzehnfacht! Das heißt nahezu 50 Prozent aller Mitarbeiter sind im Ausland beschäftigt."
Die Ergebnisse der Analyse für VW können dabei wie folgt zusammengefasst werden: Schwankungen in der Produktivität von VW können zu mehr als zwei Drittel durch die internationalen Aktivitäten des Unternehmens erklärt werden. Die Produktivität und auch der relative Unternehmenserfolg hat sich zunächst negativ entwickelt und im Verlauf der Internationalisierung abgenommen; erst ab einem gewissen Grad der Internationalisierung zeigte sich wieder eine positive Entwicklung: Verantwortlich für diesen Verlauf ist zunächst eine geringere Produktivität an den ausländischen Standorten und dann einsetzende Lerneffekte. Der Wendepunkt zeigt sich für VW bei einem Anteil ausländischer Mitarbeiter von 30 bis 35 Prozent. Also ein im Vergleich zu internationalen Studien ganz typisches Bild.
Ein Übergang in Phase 3 (d.h. eine Überinternationalisierung) hat noch nicht stattgefunden und VW profitiert aktuell noch weiter von seinem Auslandsgeschäft.
"Genau solche Analysen habe ich für die Top Industrieunternehmen in Deutschland durchgeführt und meine Ergebnisse zeigen, dass es das Phänomen der Überinternationalisierung gibt und dass es zu einer negativen Entwicklung des Unternehmenserfolgs bei einer zu starken Diversifikation des Geschäftes kommen kann", sagt die Preisträgerin.
Wichtig sei daher eine genaue Analyse der weiteren internationalen Aktivitäten ab einem gewissen Grad der Internationalisierung: Unternehmen sollten sich nicht nur fragen, wie viel Lohnkosten pro Mitarbeiter bei einer Verlagerung ins Ausland eingespart werden können. Ebenso sollten sie einen verstärkten Blick auf die Frage der Produktivität werfen, insbesondere vor dem Hintergrund der Einbindung in das gesamte Unternehmensnetzwerk.
TUHH - Pressestelle
Martina Brinkmann
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