Gefährliche Gase sichtbar machen: SIGIS "überwacht" die WM-Spiele

11.04.2006

Prof. Harig und das Infrarotspektrometer
Prof. Harig und das Infrarotspektrometer

Ein am Institut für Messtechnik entwickeltes Fernerkundungsgerät macht gefährliche Gase sichtbar. SIGIS - Scanning Infrared Gas Imaging System - bietet die einmalige Kombination aus der Visualisierung einer Gefahrstoffwolke und der gleichzeitigen Identifizierung der Gase bereits bei kleinen Mengen. In Sekundenschnelle können aus größeren Entfernungen von bis zu zehn Kilometern Giftstoffwolken gefahrlos identifiziert, mithin große Gebiete überwacht werden.



Die neuartige Technologie ist im Auftrag des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) und des Bundes entwickelt und am 11. April offiziell der Hamburger Feuerwehr übergeben worden. Die Hansestadt ist einer von zunächst vier Standorten des Pilotprojekts einer neuen "Analytischen Task Force". Damit ausgestattet sind inzwischen außer in Hamburg die Feuerwehren in Mannheim und Magdeburg sowie die Polizei in Berlin. "Ziel ist es, dass diese Task Force bundesweit und darüber hinaus in Europa eingesetzt werden kann", sagte der Präsident des BBK, Christoph Unger in Hamburg. Auch wenn es keine konkreten Hinweise auf eine Gefahrenlage während der Fußballweltmeisterschaft in Deutschland gäbe, die den Einsatz von SIGIS erforderlich machten, werden die damit ausgestatteten vier Task Forces in den WM-Stadien zur Erprobung eingesetzt, kündigte Unger an.



"Das neue Fernerkundungssystem trägt in erheblichem Umfang zur Sicherheit der Menschen bei", sagte er. SIGIS dient der chemischen Gefahrenabwehr. Dabei wird mit einem Scanner-Spiegel die Umgebung "abgetastet". Das von Prof. Dr.-Ing.Roland Harig und seinem Team entwickelte System analysiert Punkt für Punkt die ankommende Infrarotstrahlung. Die im Infrarotspektrum erfassten Schadstoffe werden identifiziert und in ein Videobild eingespielt. So wird den Einsatzkräften innerhalb weniger Sekunden ein Bild geliefert, das die Schadstoffwolke und deren Ausbreitung zeigt.



Mit SIGIS ist der Schritt aus der Forschung in die Anwendung getan. Konnte das Vorläufermodell nur von Wissenschaftlern bedient werden, kann SIGIS auch z.B. von Feuerwehrleuten eingesetzt werden. Das Messprinzip ist zwar das Gleiche, ansonsten aber ist SIGIS eine komplette Neuentwicklung: Es ist bei gleicher Nachweisstärke doppelt so schnell und erlaubt eine 360-Grad-Überwachung.



Denkbare Einsatzmöglichkeiten der damit ausgestatteten chemisch-analytischen Schnelleinsatztruppen sind zum Beispiel konkrete Schadensfälle wie zum Beispiel Chemieunfälle sowie die kontinuierliche Überwachung beispielsweise von chemischen Betrieben, Ballungsräumen oder Großveranstaltungen.

SIGIS Messung aus 2,5km Entfernung
SIGIS Messung aus 2,5km Entfernung

Obwohl die sicherheitstechnischen Vorkehrungen in den vergangenen Jahrzehnten erheblich verbessert wurden, werden bei Unfällen während der Produktion, der Verarbeitung sowie dem Transport von Chemikalien immer wieder Gefahrstoffe freigesetzt. Außerdem ist es in der Vergangenheit zur Freisetzung von gefährlichen Stoffen im Rahmen oder als Folge von Kriegshandlungen oder terroristischen Anschlägen gekommen. Zur Einschätzung der Gefahrenlage durch die zuständigen Einsatzkräfte vor Ort sind schnellstmöglich Informationen über die freigesetzten Stoffe sowie die betroffenen Gebiete erforderlich. Sowohl die Interpretation der Messergebnisse wie die daraus abzuleitenden medizinisch-toxologischen Bewertungen und Empfehlungen setzen das Expertenwissen speziell geschulter Task-Forces voraus.



Gegenwärtig werden verschiedene Methoden zur schnellen Analyse freigesetzter Stoffe vor Ort von den Feuerwehren beziehungsweise den zuständigen Einsatzkräften genutzt. Außer einfachen Verfahren und Sensoren - wie zum Beispiel Prüfröhrchen, Photoionisations-Detektoren, Halbleiter-Gas-Sensoren oder elektrochemischen Zellen - werden zur Stoffidentifikation auch Methoden wie zum Beispiel die Gas-Chromatographie/Massenspektrometrie eingesetzt. Diese erfordern jedoch vor Ort eine Probennahme, die mit großen Gefahren für die Einsatzkräfte verbunden sein kann.



"Um Gefahrstoffe zu identifizieren, wurde ein neuer Algorithmus entwickelt, der im Gegensatz zu Verfahren, die in Laboratorien eingesetzt werden, keine Messung reiner Luft vor der eigentlichen Gefahrenstoff-Messung benötigt", sagt Professor Harig. Das System, das über einen Zeitraum von zwei Jahren entwickelt wurde, kann deshalb auch eingesetzt werden, wenn bereits zu Beginn der Messung eine Giftstoffwolke vorhanden ist. Im Algorithmus werden die Einflüsse der in der Atmosphäre vorhandenen Spurengase berücksichtigt. Eine Stoffidentifikation ist auch bei einer Überlagerung der Signaturen des Zielstoffs mit denen der Gase möglich.



SIGIS ist das erste Fernerkundungssystem, das die guten Eigenschaften eines passiven Spektrometers zur Fernerkundung von Gaswolken mit den Eigenschaften abbildender Systeme, besondere der einfachen Interpretation des Messergebnisses, kombiniert. Die Abtastung des gesamten Beobachtungsfelds maximiert die Wahrscheinlichkeit, eine gefährliche Wolke zu finden und zu identifizieren. Die Überlagerung der Aufnahme einer Videokamera mit der Giftstoffwolke erlaubt deren schnelle Ortung. Darüber hinaus kann mit dieser Darstellung in vielen Fällen die Quelle einer Gaswolke gefunden werden. Die Fernerkundung mittels Infrarotspektrometrie ist am Institut für Messtechnik seit vielen Jahren ein Schwerpunkt.



Das Prinzip der

Infrarotspektrometrie

Die Methode der Fernerkundung von Gefahrstoffwolken mittels Infrarotspektrometrie basiert auf der spektralen Analyse allgegenwärtiger Strahlung im infraroten Spektralbereich, die von den Molekülen einer Gaswolke absorbiert und emittiert wird. Durch Absorption oder Emission eines Photons kann ein Molekül in einen Zustand mit höherer beziehungsweise niedrigerer Energie übergehen. Die Wellenlängen, bei denen dies geschieht, sind charakteristisch für die verschiedenen Moleküle. Dies bedeutet, dass durch Analyse der Umgebungsstrahlung eventuell vorhandene Gefahrstoffe analysiert werden können.



Die vom Spektrometer gemessene Strahlung enthält die spektralen Signaturen des Hintergrunds sowie die Signaturen der Moleküle der Wolke und der Atmosphäre zwischen dem Hintergrund und dem Spektrometer. Als Hintergrund wird der Teil des Bereichs, aus dem Strahlung detektiert wird, der sich jenseits der Wolke befindet, bezeichnet. Sowohl topografische Ziele, wie Hauswände oder Vegetation, als auch der Himmel können den Hintergrund einer Messung bilden. Qualitativ lassen sich die beobachteten Spektren wie folgt beschreiben: Ist die Temperatur der Wolke niedriger als die so genannte Strahlungstemperatur des Hintergrunds, die bei topografischen Zielen in vielen Fällen in guter Näherung gleich der Temperatur der Hintergrundoberfläche ist, wird ein Absorptionsspektrum beobachtet. Dies bedeutet, dass die vom Hintergrund einfallende Strahlung durch die Wolke geschwächt wird. Ist die Strahlungstemperatur des Hintergrunds niedriger, liegt ein Emissionsspektrum vor. In diesem Fall erhöht sich die Strahlungsintensität durch die Wolke.



Nähere Informationen unter

http://www.et1.tu-harburg.de/sigis


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Jutta Katharina Werner
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