18.10.2010
Was für ein herrliches Durcheinander: Monitore und Messgeräte stapeln sich auf der Arbeitsplatte, Lötkolben und Schraubenzieher liegen zwischen Platinen und Kabeln, Zetteln und Zeitungen, Kaffeebechern, Wasser- und Colaflaschen. So könnte ein Bastler in seinem Hobbykeller hausen, doch Karsten Becker sitzt im dritten Stock des Instituts für Rechnertechnologie an der TU Hamburg-Harburg und arbeitet an nichts Geringerem als einer Mondmission.
"Hell yeah, it's rocket science!" steht draußen auf der Tür von Raum 3007 und drinnen stehen dem 28-Jährigen die Haare zu Berge. Zumindest sieht Karsten Becker aus, als würde er sich ab und zu kräftig den blonden Schopf raufen, was ganz gut zu seinem kreativen Chaos passt. "Kreativer Umgang mit Technologie - genau das ist es, was diese Arbeit so reizvoll macht", sagt der technische Informatiker. "Einfach zu sagen, 'hey, wir schicken ein Ding zum Mond' das klingt doch einfach respektlos. Da sagen die meisten sofort, das ist unmöglich. Aber wir sagen, es ist nicht unmöglich, es ist nur schwierig."
Und es ist absolut ernst gemeint. Und so fantastisch und faszinierend, dass Becker seit Anfang des Jahres mit nichts anderem mehr beschäftigt ist. An der Mondmission tüftelt er gleich in doppelter Funktion, als Doktorand der TU Hamburg und als Mitglied der "Part-Time Scientists", dem deutschen Google-Lunar-X-Prize-Team, das mit einem selbstgebauten Rover den bislang höchstdotierten Wettbewerb für privat finanzierte Weltraumaktivitäten gewinnen will.
Die Uhr tickt. Weltweit arbeiten 22 Teams mit Hochdruck daran, den Wettlauf zum Mond für sich zu entscheiden. 20 Millionen US Dollar soll die Gruppe bekommen, der es als erste gelingt, bis Ende 2012 einen unbemanntes Mondmobil auf dem Erdtrabanten landen und 500 Meter weit fahren zu lassen. Zusätzliche Bonus-Millionen gibt es, wenn das Mobil fünf Kilometer zurücklegt, eine 14,5 Tage dauernde Mondnacht übersteht und Aufnahmen von Apollo-Spuren macht.
Die Chancen für "Asimov Junior R2" stehen laut Becker gar nicht mal schlecht. Ein Ranking aller teilnehmenden Teams, erstellt nach deren letzten Treffen Anfang Oktober platziert die Scientists jedenfalls ganz oben, obwohl das kaum kniehohe, kastenförmigen Gefährt, dessen silbrig glänzende Räder in naher Zukunft knapp 400 000 Kilometer entfernt durch feinen Mondstaub rollen sollen, noch ziemlich reglos auf der Erde stehen. "Das ist jetzt unser zweiter Prototyp", erklärt Becker den Rover, der kürzlich auf der Photokina in Köln für Furore sorgte. "Er besitzt schon die richtigen Maße, hat ein größeres Solarpanel als sein Vorgänger und bietet auch mehr Platz für die Elektronik." Die soll dann später ferngesteuert von der Erde alle Aktionen des Mondmobils ermöglichen - von der Bewegung der einzeln aufgehängten, um 360 Grad drehbaren Räder über die Neigung des Solarpanels bis zum Schwenk des mit drei Kameras bestückten Kopfes.
Weil aber noch nicht alles so präzise funktioniert wie gewünscht, liegt Asimovs Herzstück ausgebaut vor Karsten Becker auf dem Tisch. Er ist zuständig für die Elektronik, sein Arbeits- und Forschungsgebiet sind FPGAs (Field Programmable Gate Arrays). "Das sind sehr aufwändig zu programmierende Schaltkreise, die im Gegensatz zu zeitsequenziert arbeitenden Prozessoren parallel ablaufen, wodurch sie ungeheuer leistungsfähige Aufgaben übernehmen können", erklärt er. "Für meine Dissertation erstelle ich mit Asimov eine Benchmark auf Basis der kommerziellen FPGA-Architektur von "Xilinx", um diese anschließend mit einer Realisierung auf der institutseigenen FPGA-Architektur vergleichen und weiter optimieren zu können."
Die eigene Begeisterung derart mit wissenschaftlicher Forschung verbinden zu können, bezeichnet er als großes Glück. Anfangs noch eher skeptisch, ist mittlerweile auch Beckers Doktorvater, Professor Georg-Friedrich Mayer-Lindenberg, von der Sache fasziniert. Und das von Becker angebotene Seminar an der TU Hamburg in Harburg kann sich über Zulauf nicht beklagen. Immer mehr Studierende wollen an Lösungen für "Asimov" mitarbeiten. Die Mondvision wirkt wie ein Magnet.
Auch die Part-Time Scientists sind seit Juni vergangenen Jahres von ursprünglich sieben auf mehr als 70 Mitglieder angewachsen und haben sich international vernetzt. Experten von der NASA und vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) stehen als Ratgeber zur Seite, dazu diverse Firmen, die als Sponsoren gewonnen werden konnten. "Unser Grundprinzip ist, alles so einfach wie möglich zu halten, damit die Technik auf dem Mond beherrschbar bleibt", sagt Becker. Doch ohne Unterstützung wäre das Low Budget Unternehmen kaum zu stemmen. Fragen und Probleme gibt es ohnehin noch genug, angefangen vom Raketenantrieb über das Kommunikationssystem bis zu den Materialien, die sämtlich für Weltraumbedingungen optimiert sein müssen. Schließlich gibt es auf dem Mond keine Atmosphäre, dafür aber extreme Strahlung und enorme Temperaturschwankungen von minus 183 bis plus 117 Grad Celsius. "Wir müssen das Rad aber nicht komplett neu erfinden und können Erfahrungen vorheriger oder geplanter Weltraummissionen durchaus nutzen. Schon bei Asimovs gezacktem Reifenprofil haben wir uns sehr von "Curiosity", dem Mars Science Laboratory der NASA inspirieren lassen", erzählt Becker und klingt dabei so, als wäre ihm das jetzt ein bisschen peinlich. Aber warum sollte, wer es so eilig hat, zum Mond zu kommen, nicht auch ein wenig bei einem Marsmobil abkupfern dürfen.
Autorin: Uta Bangert
Am 20.10. 2010 um 14.30 Uhr informieren Karsten Becker und die Part-Time Scientists über ihre Mondmission im Audimax I der TUHH.
Homepage der Part-Time Scientists: http://www.part-time-scientists.com/
Infos zum Google Lunar X Prize unter: http://www.googlelunarxprize.org/
Weitere
Informationen:
TU
Hamburg-Harburg
Institut
für Rechnertechnologie
Karsten
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Tel.
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E-Mail:
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