Silizium zeigt Muskeln: Wissenschaftler der TU Hamburg entwickeln neue Materialkonzepte für die Technik von morgen

01.10.2020

Doktorand Guido Dittrich, Professor Patrick Huber, Doktorand Manuel Brinker.
Doktorand Guido Dittrich, Professor Patrick Huber, Doktorand Manuel Brinker. Foto: TU Hamburg/Trede

Ob Smartphone, Laptop, oder Smart Watch: Das chemische Element Silizium findet sich in jedem elektronischen Bauteil und noch so kleinen Computerchip. So ist Silizium auch der Namensgeber für das Silicon-Valley, der Heimat zahlreicher Technologieunternehmen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Technischen Universität Hamburg ist es nun gelungen, Silizium Muskelkraft zu verleihen. Mit dieser neuen Eigenschaft kann das Material erstmals elektrische Signale in mechanische Bewegungen umwandeln. Damit bietet das neue Hybridmaterial völlig neue Perspektiven für die chipbasierte Technik von morgen.

Damit der Lautsprecher in einem Smartphone funktioniert, bedarf es sogenannter aktorischer Materialien. Diese führen kleine Bewegungen im Mikrometer- und Nanometerbereich elektrisch und sehr präzise aus und bringen damit beispielsweise Luft zum Schwingen. Bisher konnte Silizium derartige Funktionen nicht übernehmen. „Um das zu ändern, ahmten wir auf künstliche Art und Weise das nach, was die Natur bereits in Biomaterialien wie Knochen oder Zähnen durch eine geschickte Kombination von weicher und harter Materie umsetzt“, sagt Wissenschaftler Patrick Huber von der TU Hamburg.

Wafer aus Silizium mit Vetreter∗innen der Projektgruppe.
Wafer aus Silizium mit Vetreter*innen der Projektgruppe. Bild: Privat.

Dazu stattete sein Team kleinste Nanokanäle in hartem Silizium mit dem künstlichen, umweltfreundlichen und weichen Muskelpolymer Polypyrrol aus. „Uns ist es gelungen, dass sich diese Muskelmoleküle und damit das komplette Siliziumgerüst des Hybridmaterials unter elektrischer Spannung ausdehnt und anschließend wieder zusammenzieht“, erklärt der Physiker. Dabei ist das neue Material ähnlich groß wie in vielen lebenden Systemen, wo es zur Reizleitung und zur Kontrolle von Bewegungen genutzt wird. Zudem benötigt es in wässriger Umgebung nur sehr kleine elektrische Spannungen für die Umwandlung von elektrischen Signalen in mechanische Bewegung. „Das macht das Hybridmaterial besonders vielversprechend für Anwendungen in biologischen oder bio-medizinischen Systemen“, erläutern Manuel Brinker, der Erstautor der Studie, zusammen mit Koautor Guido Dittrich, beide Doktoranden an der TU Hamburg.

An der TU Hamburg werden neben Silizium mit Muskeln weitere neue Materialsysteme im Sonderforschungsbereich SFB 986 erforscht. Diese sind Teil des neu eingerichteten Center for Integrated Multiscale Materials Systems, kurz CIMMS, das von der Hamburger Behörde für Wissenschaft, Forschung, Gleichstellung und Bezirke im Januar 2020 mit knapp vier Millionen Euro auf insgesamt vier Jahre gefördert wurde. In dem Projekt arbeiten neben der TU Hamburg auch Forschende der Universität Hamburg (UHH), des Deutschen Elektronen-Synchrotron (DESY) und des Helmholtz-Zentrum Geesthacht (HZG) zusammen. Seit kurzem leitet der TU-Wissenschaftler Patrick Huber im CIMMS die Arbeitsgruppe „Physik von funktioneller Materie und hochauflösende Röntgenanalytik von Materialien“ im Rahmen einer kooperativen Professur zwischen DESY und TU Hamburg mit Anbindung an das Zentrum für hybride Nanostrukturen (CHyN) der UHH.

Weitere Informationen "Science Advances": https://advances.sciencemag.org/content/6/40/eaba1483
Huber Lab Webseite: https://huberlab.wp.tuhh.de
SFB986-Webseite: https://www.tuhh.de/sfb986


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