18.09.2018
Für sie fand die Vorlesung auch mal im Büro des Professors statt, einen Campus gab es nicht, die Mensa war die benachbarte Kantine der Steuerbehörde und sie waren in Harburg bekannt wie bunte Hunde: Dr. Lothar Behlau hatte die Matrikelnummer 1 und gehörte 1982 zu den ersten fünf Studierenden an der Technische Universität Hamburg (TUHH). Er begann an der TUHH sein Studium der Verfahrenstechnik und ist heute Leiter der Abteilung Agenda 2022 der Fraunhofer Gesellschaft.
TUHH: Wie sind Sie überhaupt auf diese neue TU aufmerksam geworden?
Lothar Behlau: 1982 wurde die Lehre an der TUHH aufgenommen, und zwar mit dem Hauptstudium der Verfahrenstechnik, das heißt, es mussten ein Uni-Vordiplom oder adäquate Leistungen vorgewiesen werden. Und da es damals noch kein Internet gab, wurde diese Ankündigung über sehr „normale“ Pressekanäle publiziert. Ich habe davon erfahren, weil in meinem Studentenwohnheim ein Student eine Kurznachricht aus dem Hamburger Abendblatt ausgeschnitten und an die Pinnwand in der Küche geheftet hatte…
Was war Ihre Motivation sich an einer ganz neuen Universität für den Studiengang Verfahrenstechnik einzuschreiben?
Ich hatte an der Fachhochschule Bioingenieurwesen studiert. Das war ein sehr breit angelegter Studiengang, den ich auch mit viel Interesse studiert hatte. Aber der Nachteil dieser Breite war die mangelnde Tiefe. Man wusste von vielem etwas, aber nichts richtig. Man war nirgends Experte. Das schien mir auch für die Berufswahl ein Manko zu sein. Ich hätte dort oftmals mit „richtigen“ Verfahrenstechnikern im Wettbewerb gestanden. Schon während meines Studiums hatte ich mal erwogen zum Studiengang Verfahrenstechnik an der Fachhochschule Hamburg zu wechseln oder nach dem Studium sogar nochmal an der Uni von vorne anzufangen (damals waren Karlsruhe und Erlangen führende Unis für diesen Studiengang). Somit war das Angebot der TUHH für mich ein „Geschenk des Himmels“, denn damals (wie heute) war es unüblich, das Fachhochschuldiplom – mit einigen Einschränkungen – als TU-Vordiplom anzuerkennen. Das war eine einmalige Chance.
Wie war das, in der ersten Studierendengruppe an der TUHH zu sein?
Aufgrund der limitierenden Kriterien gab es nur eine sehr eingeschränkte Zahl von Bewerbern. Das waren meist Absolventen der Fachhochschule Hamburg, denen dann manchmal noch zusätzliche Vorlesungen auferlegt wurden, um ein Äquivalent zum Vordiplom nachzuweisen. Wir fingen also nach einer ersten Auslese mit fünf Studierenden an, nach ein paar Monaten waren wir dann nur vier, die dann alle das Diplom erreichten. Wir fühlten uns nicht als eine Studierendengruppe, sondern eher als ein etwas exotisches Grüppchen (von FH-Absolventen) an einer TU, an der zu 99,7 Prozent geforscht wurde.
Wie war das „Studentenleben“ an und außerhalb der TUHH?
An der TUHH gab es am Anfang kein Studentenleben in dem Sinne, wie es heute wahrscheinlich stattfindet. Ein Campus im Sinne eines Areals, auf dem es vor Studierenden wimmelt, war nicht vorhanden. Es gab das große Hauptgebäude an der Eißendorfer Straße und eine alte Wäscherei, von der die oberen Räume für ein paar Doktoranden angemietet wurden. Unsere „Mensa“ war die benachbarte Kantine einer Steuerbehörde ein paar hundert Meter entfernt.
Auch als ein Jahr später reguläre Studiengänge starteten, gab es noch keine studentische Szene, weder an der TU noch in Harburg, weil die meisten Studierenden auch von überallher pendelten und nur wenige in Harburg wohnten. Man hatte in Harburg durchaus einige Vorbehalte, was die TU dem Ort bringen würde. So mussten wir uns hinsichtlich eines studentischen Milieus selbst genügen. Aber natürlich gab es in Harburg alles, was ein Studierender braucht: Günstige Wohnungen, Kneipen und einen guten Verkehrsanschluss nach Hamburg. Ich war froh, auch diesen Teil von Hamburg kennengelernt zu haben.
Was war für Sie in der Zeit der TUHH ein unvergessliches Erlebnis?
Es gab ja noch keine Vorlesungsräume, sondern wir trafen uns zu den Vorlesungen oftmals in einem bestimmten Besprechungsraum. Dort gab es ein Telefon (mit Wählscheibe!), das mit einer Amtsleitung versorgt war. Da das Telefonieren früher noch teuer war, haben wir das Telefon in den Pausen auch manchmal privat genutzt – bis dann einer meiner Kommilitonen während einer Vorlesung auf diesem Apparat auch zurückgerufen wurde. Das irritierte den Professor doch etwas. Danach war das Telefon weg.
Was nutzen Sie aus dem Studium für Ihren Beruf?
Die Verfahrenstechnik-Ausbildung war aus meiner heutigen Sicht exzellent. Trotz des kleinen Semesters hatten die Professoren das Ziel, für die TUHH einen hohen Standard zu setzen. Ich bin nach dem Studium zur Promotion mit TUHH-Professor Prof. Werner Bauer nach München mitgegangen, der einen Ruf als Leiter eines Fraunhofer-Instituts erhielt. Ich habe die Studien-Inhalte während meiner Promotion im Bereich der Lebensmittelverfahrenstechnik sehr gut anwenden können, so dass die Promotion an der TU-München gut lief.
Heute bin ich im Bereich des Forschungsmanagements tätig und brauche immer wieder auch profunde Ingenieurkenntnisse aus dieser Zeit zur Beurteilung von Forschungsprojekten. Zum Glück vermittelt die Verfahrenstechnik ein breites Verständnis der Natur- und Ingenieurwissenschaften. Die damalige hohe Intensität der Betreuung hat durchaus Spuren hinterlassen, weil man eben zu dritt oder viert permanent aufmerksam sein musste.
Was würden Sie einen allwissenden Forscher oder eine Forscherin aus der Zukunft fragen?
Ich möchte das nicht aus der Perspektive eines Forschungsmanagers beantworten, der sich viel mit FuE-Themen der Zukunft befasst, sondern aus einer eher persönlichen Perspektive: Ich hoffe, wir können in Zukunft die Forschung – auch die in den Gesellschaftswissenschaften – mehr auf die Themen konzentrieren, die eine Lösung für die derzeitigen Probleme herbeiführen. Bisher gibt es viel unkoordinierte Aktivitäten und Forschung, die macht, was physikalisch geht, ohne die Folgen ins Kalkül zu nehmen. In der Konsequenz muss wieder Forschung betrieben werden, um diese Folgen einzudämmen, beispielsweise Endlagersuche oder Cybersicherheit. Ich würde also einen Forscher oder eine Forscherin in der Zukunft fragen, ob man es geschafft hat, die Energie vollständig regenerativ zu erzeugen und ob der Klimawandel gestoppt wurde. Und eine neugierige „technische Frage“ hätte ich auch noch: Hat man das Beamen schon verwirklicht?
Sie sind seit über 27 Jahren im Forschungsmanagement der Fraunhofer Gesellschaft tätig. Wie müssen sich Ihrer Meinung nach die Technischen Universitäten in Zukunft aufstellen?
Neben dem soliden Kompetenzaufbau in einer Disziplin sollte besonders die Vernetzungsfähigkeit mit anderen Disziplinen bereits während des Studiums geübt werden. Als Studierender überblickt man mit einem TU-Studium einen immer kleineren Teil des Gesamtsystems und deshalb muss die Anschlussfähigkeit mit anderen Disziplinen aufgebaut werden - auch mit den Gesellschaftswissenschaften. Diese Methodenkompetenz ist teilweise genauso wichtig wie die originäre Fachkompetenz.
Die TUs sollten ihren Beitrag und ihre Verantwortung für die Gesellschaft deutlich machen: Inwiefern trägt eine TU mit ihrer Lehre und vor allem ihrer aktuellen Forschung direkt zu den drängendsten Problemen der Menschheit bei?
Wie nehmen Sie die TUHH heute wahr?
Als Forschungsmanager einer großen außeruniversitären Forschungseinrichtung gibt es natürlich immer wieder Berührungspunkte mit den großen TUs in Deutschland, wozu die TUHH mittlerweile gehört. So gibt es auch Kooperationen mit der Fraunhofer-Gesellschaft, bei denen ich immer wieder hellhörig werde und mich gerne an meine Anfänge erinnere.
Der Festakt 40 Jahre TUHH findet am 21. September um 15 Uhr im Audimax I statt.
TUHH - Pressestelle
Jasmine Ait-Djoudi
E-Mail: pressestelle@tuhh.de
Tel.: +49 40 428 78 3458