Es kracht an der TU Hamburg – Versuche zu Schiffskollisionen

10.08.2011

Adolph Krohn begutachtet der Versuchsaufbau
Adolph Krohn begutachtet der Versuchsaufbau
Foto: TUHH/Jupitz

Fast ist es wie auf hoher See bei einer Schiffskollision: Langsam drückt sich der Bugwulst mit einem Gewicht von 400 Tonnen in die Schiffs-Außenwand. Es dauert Minuten, dann knallt es in der Versuchshalle und ein Riss im Stahl wird sichtbar. Wissenschaftler der Technischen Universität Hamburg-Harburg führen im August Crashtests an einem in Europa einzigartigen Forschungsstand durch. Dabei wird ein im Maßstab 1:3 vereinfacht nachgebauter Bugwulst gegen eine ebenfalls nachgebaute stählerne Schiffs-Außenhaut gefahren. Mehr als 80 Messstellen sind installiert und geben mit Kameras, Dehnungsstreifen und anderen Geräten Auskunft über das Ausmaß der absichtlich herbeigeführten Destruktion.

Das so gewonnene Datenmaterial wird für die Konstruktion neuer Schiffe gebraucht. Diese sollen unter Einhaltung bestehender Sicherheitsstandards wirtschaftlicher und ökologischer werden, um sich auf dem Weltmarkt behaupten zu können. In diesem Sinne optimieren ließe sich die aus zwei Stahlplatten bestehende Außenhaut, in deren Mitte sich ein Hohlraum befindet. Auf diese Weise ließen sich RoRo-Fahrgast – und andere Schiffe noch wirtschaftlicher gestalten. Wird weniger Stahl beim Bau verwendet, werden die Schiffe leichter, brauchen weniger Sprit und gewinnen zudem eine größere Ladefläche.

Die Untersuchungen sind Teil des seit 2009 laufenden und auf vier Jahre befristeten Forschungsvorhabens ELKOS, das mit fast 1 Million Euro vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie gefördert wird. Der vierte von insgesamt sechs Versuchen läuft im August. Daran beteiligt sind außer den TUHH-Instituten für Konstruktion und Festigkeit von Schiffen sowie für das Entwerfen von Schiffen und Schiffssicherheit die Flensburger Schiffbau-Gesellschaft und das Forschungszentrum Jülich. „Mit Berechnungen in Simulationen am Computer allein kommt man hier nicht weiter“, sagt Martin Schöttelndreyer, Doktorand am Institut für Konstruktion und Festigkeit von Schiffen. „Es braucht den Versuch, da es sehr viele Materialparameter gibt.“

Die wissenschaftlichen Mitarbeiter Ingo Tautz (links) und Martin Schöttelndreyer (rechts) analysieren mit Professor Wolfgang Fricke den Verlauf des Kollisionsversuchs
Die wissenschaftlichen Mitarbeiter Ingo Tautz (links) und Martin Schöttelndreyer (rechts) analysieren mit Professor Wolfgang Fricke den Verlauf des Kollisionsversuchs
Foto: TUHH/Jupitz

Heutige, üblicherweise unter Gewichtsaspekten optimierte Schiffsentwürfe, stellen dünnwandige Plattenstrukturen in Leichtbauweise dar. „Das technisch vorhandene Potential weiterer Freiheitsgrade von Raumvariationen und besserer Raumausnutzungsgrade wird bei vorschriftengerechter Anwendung der SOLAS 2009 und heute üblichen Konstruktionen von Schiffsdoppelhüllen nicht ausgeschöpft“, sagt Schöttelndreyer. Besonders RoRo-Fahrgastschiffe, die relativ wenige Passagiere befördern und gleichzeitig einen großen unteren Laderaum aufweisen, hätten durch die vorhandenen Regeln nach SOLAS 2009 sogar ein insgesamt unbefriedigendes Sicherheitsniveau erhalten. Im Forschungsvorhaben sollen Methoden erarbeitet werden, welche strukturellen Maßnahmen und neuartigen Konstruktionsvarianten, die zur Erhöhung der Kollisionssicherheit in Seiteneindringfällen sorgen, in der Berechnung der Leckstabilität nach SOLAS 2009 angemessen berücksichtigt werden können. Weil diese neue Vorschriftenlage bestimmte unkritische Beschädigungsfälle auch explizit erlaubt, sind hiermit zusätzliche Freiheitsgrade für den Schiffsentwurf denkbar, die bei intelligenter Kopplung von Schiffsentwurf, Leckrechnung und Kollisionsrechnungen zu deutlich wirtschaftlicheren Produkten führen können und zugleich auch eine erhebliche Verbesserung der Schiffssicherheit bedeuten. Das Vorhaben setzt deshalb an der Schnittstelle zwischen Schiffsentwurf, Leckrechnung und Strukturmechanik an.

Die zu untersuchenden Seitenhüllenstrukturen sind überwiegend Leerzellen, deren Kollisionssicherheit durch Einbringen geeigneter Füllstoffe weiter erhöht werden kann. Die physikalisch korrekte Abbildung derartiger Füllstoffe ist in einer numerischen Kollisionssimulation bisher kaum untersucht. Innerhalb dieses Teilvorhabens wird daher die Zielstellung verfolgt, anhand von Kollisionsversuchen numerische Berechnungen derart zu validieren, dass die Abbildung der Kollisionsmechanik auch in der numerischen Simulation physikalisch korrekt gelingt. Weiterhin sollen bisher wenig untersuchte Effekte der Steifigkeit des aktiven Kollisionsgegners auf das gesamte Kollisionsverhalten untersucht und experimentell abgesichert werden. In Ergänzung zu den geplanten Kollisionsversuchen mit Bugwulst und Seitenstruktur sollen in diesem Zuge Vorversuche durchgeführt werden, die zunächst deformierbare Bugwulststrukturen gegen einen starren Gegner betrachten. An diese Vorversuche sollen vergleichende Betrachtungen angeschlossen werden, die Unterschiede in der Kollisionsmechanik unter der Annahme eines starren Bugwulstes aufzeigen. Die Ergebnisse der Kollisionsversuche bzw. der Validierung der zugehörigen Simulationen bilden die Basis für das übergeordnete Vorhabensziel Vereinfachungsansätze der Berechnungsmodelle belastbar abzusichern, die notwendig werden um eine sinnvolle Kopplung zwischen Kollisions- und Leckrechnung sicherstellen zu können.

Für Rückfragen:
Technische Universität Hamburg-Harburg
Institut für Konstruktion und Festigkeit von Schiffen
Prof. Dr.-Ing. Wolfgang Fricke
E-Mail: fricke@tuhh.de


TUHH - Public Relations Office
Jutta Katharina Werner
E-Mail: pressestelle@tuhh.de